extra vergine
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Repetition und Statik
a
„Jedoch: wenn man göttliche und menschliche Gegenwart vergleichen darf, so sieht jener, wie ihr in eurer zeitlichen Gegenwart manches seht, alles in seiner ewigen. […] Wie ihr, wenn ihr zugleich einen Menschen auf der Erde wandeln und die Sonne am Himmel aufgehen seht, wenn auch beide Anblicke zugleich, so sie doch unterscheidet und urteilt, dies sei freiwillig, jenes notwendig. So verwirrt also der alles klärende Blick Gottes keineswegs die Beschaffenheit der Dinge, die bei ihm gegenwärtig sind, unter der Bedingung der Zeit aber zukünftig.“ (Boethius)
Ein zentrales Element jeder religiösen Praxis ist die Wiederholung. So wiederholt jeder durch die Stundengebetszeiten gegliederte Tag im Kloster den Tagesablauf des vorigen Tages, jede Woche die Vorwoche jedes Jahr das Vorjahr – seit Jahrhunderten. Auch ist es durchaus üblich, daß der Novize beim Eintritt den Namen des zuletzt verschiedenen Bruders annimmt. Jeder Mönch wiederholt also sozusagen das Leben seiner Vorgänger, seiner verstorbenen Mitbrüder. Ewigkeit kann definiert werden als das Zusammenfallen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einen Punkt. Fortwährende Repetition bedeutet eigentlich, daß kein Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besteht.
b1
Die orthodoxe Kirche kennt das „Christusgebet“ welches aus der fortwährenden Wiederholung eines einfachen Satzes besteht: „Darum muß man bestrebt sein, in Gedanken zu schweigen …. und immer zu sprechen: „Herr Jesu Christe, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“ – das ist das Ganze.“ (Nil Sorskij „Ustav“ 16.Jh.) Schweigen, Ruhe und letzten Endes Zeitlosigkeit wird angestrebt durch Repetition.
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Auch das Malen einer Ikone, also das Kopieren eines Vorbildes nach einem strengen Regelkanon ist letzten Endes Repetition. Wesentliche Merkmale von Ikonen sind ihre Statik und der hohe Grad an Abstraktion: Die dargestellte Person ist völlig unpersönlich und wird zum undramatischen Typus abstrahiert. Dem entspricht, daß auch die Person des Darstellers völlig unpersönlich bleibt. Die Ikone will nichts über ihren Maler aussagen. Zeitlose Statik, fortwährende Wiederholung und Unpersönlichkeit machen Ikonen zu Fenstern in die Ewigkeit.
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Blockflöten und g#
…..[er] erklärte uns die Linien, welche Bewegung verursachten, in welcher Bewegung doch wieder eine Ruhe herrsche, und Ruhe in Bewegung sei die Bedingung eines jeden Kunstwerkes. (aus: Adalbert Stifter „Der Nachsommer“)
Das Stück „die mutter gottes mit den drei händen“ bezieht sich auf eine alte serbisch-russische Ikone dieses Namens. Alle drei Teile beruhen auf der gleichen Grundstruktur die abgeleitet ist aus dem Ton g#, sind gleichsam verschiedene Perspectiven ein und derselben Sache, nämlich des Tones g#, der dreimal wie auf drei großen quadratische Tafeln erscheint. Die repetitiven Muster, die für die Strukturen der einzelnen Sätze charakteristisch sind lassen sich auch auf die großformale Struktur anwenden. Das Stück als Ganzes ist eigentlich nichts als eine dreimalige Wiederholung des Tones „g#“.
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Kunst und Religion
Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbte Jesus die Füße und trocknete sie mit ihrem Haar. Das Haus wurde vom Duft des Öls erfüllt. (Johannes 1 2, 3)