zuhörer hören zu / hirschhornknöpfe (lose aneinandergereihtes räuspern über musik)

0.
Es gibt in der Musikgeschichte keine Entwicklung im Sinne einer Verbesserung, es gibt nur Veränderungen.Alles Lebendige wächst, doch die Frucht ist nicht besser als die Blüte. Der richtige Ort für Akrobatik ist meiner Ansicht nach der Zirkus.

1.
Yün-men
Eines Tages zeigte der Zen-Meister Yün-men einer Versammlung von Mönchen seinen Stock und sprach:“Das gewöhnliche Volk hält ihn naiv für Wirklichkeit. Die beiden Fahrzeuge analysieren ihn und erklären ihn für nichtexistierend. DiePraetyekabuddha halten ihn für eine maya-artige Existenz. Die Boddhisattva nehmen ihn für das, was er ist, nämlich sie erklären ihn für leer. Wenn Zen-Jünger freilich einen Stock sehen, so nennen sie ihn einfach „Stock“. Wenn sie gehen, dann gehen sie, wenn sie sitzen, dann sitzen sie.“

Musik ist keine Form von Sprache, sie steht für sich selbst als ein Gegenstand ohne Zweck, Begründung und Bedeutung außerhalb seiner selbst. Musik bildet weder die Struktur des Kosmos ab, noch ist sie Sprache der Gefühle.Musikstücke sind zweckfrei geschaffene Objekte, keine Form von Repräsentation oder Kommunikation. Musik ist kein Mittel, um etwas zu erreichen, um irgendwohin zu kommen, sie ist nur sie selbst.

Es geht nicht um Zerstreuung durch Musik, auch nicht um Konzentation durch Musik, sondern um Konzentration auf Musik. Wenn wir Musik hören, hören wir Musik. Musik zu hören bedeutet Musik zu sein.

Die Ros‘ ist ohn‘ warum: sie blühet, weil sie blühet,
Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.
(Angelus Silesius)

3.
Giotto
[Papst Benedikt IX entsandte einen Höfling zu verschiedenen Malern, um von ihnen Proben ihres Könnens zu erhalten, auf Grund derer er Aufträge vergeben wollte.] Dort[in Florenz] trat er eines Morgens in die Werkstatt Giottos, welcher eben an der Arbeit saß, und eröffnete ihm den Willen des Papstes, sagte, in welcher Weise derselbe sich seiner Kunst bedienen wolle und bat endlich, ihm etwas zu zeichnen, was er seiner Heiligkeit schicken könne. Giotto, der sehr höflich war, nahm ein Blatt und einen Pinsel mit roter Farbe, legte den Arm fest in die Seite, damit er ihm als Zirkel diene, und zog, indem er nur die Hand bewegte, einen Kreis, so scharf und genau, daß es in Erstaunen setzen mußte, verbeugte sich gegen den Hofmann und sagte: „Da habt Ihr die Zeichnung.“ – Sehr erschreckt fragte dieser: „Soll ich keine andere als diese bekommen?“ „Es ist genug und nur zuviel“, antwortete Giotto, „schickt sie mit den übrigen hin, und ihr sollt sehen, ob sie erkannt wird.“ (Giorgio Vasari)

4.
Törleß
In solch einer Rechnung sind am Anfang ganz solide Zahlen, die Meter oder Gewichte oder irgend etwas anderes Greifbares darstellen können und wenigstens wirkliche Zahlen sind. Am Ende der Rechnung stehen ebensolche. Aber diese beiden hängen miteinander durch etwas zusammen, das es gar nicht gibt. Ist das nicht wie eine Brücke, von der nur Anfangs- und Endpfeiler vorhanden sind und die man dennoch so sicher überschreitet, als ob sie ganz dastünde?[..]Das eigentlich Unheimliche ist mir aber die Kraft, die in solch einer Rechnung steckt und einen so festhält, daß man doch wieder richtig landet.“ (Robert Musil)

Ein Grundproblem jedes Komponisten ist die Frage ob, und wenn ja, auf welche Weise musikalische/kompositorische Entscheidungen begründet werden können.Anders gefragt, über welche Brücke schreitet man von den anfänglichen Klangvorstellungen zu den am Ende des Kompositionsprozesses fixierten/notierten Klängen.
Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Extrempositionen, einerseits den Weg der strengen Form, der Konstruktion (z.B. Ricercar) und andererseits den Weg der freien Form, der notierten Improvisation (z.B. Toccata).(recercare = suchen; toccare = berühren (Tasten, Saiten))
Das Entscheidungspotential des Komponisten bleibt in jedem Fall gleich groß, es wird nur verschieden verteilt. Im extremsten Fall einer Konstruktion trägt eine einzige Entscheidung die gesamte Entscheidungslast, die im anderen Extremfall auf eine Vielzahl von hunderten von Einzelentscheidungen aufgeteilt wird.
Letztlich können in ihrer Wirkung ganz ähnliche Stücke in ihrer Form absolut gegensätzlich sein, wohingegen mit ein und derselben Konstruktion unterschiedlichste Stücke entstehen können, sodaß ich eigentlich bei jedem neuen Stück die Entscheidung treffe, über welche Brücke ich gehen will, oder ob es nicht besser wäre zu fliegen.

5.
Oberfläche
Leise, mikrotonal, geräuschhaft, lang. Mich interessiert die nicht wahrnehmbare Veränderung. Die Gleichzeitigkeit von Fließen und erstarrt sein.