das atmen der zeit.

Nichts ist abstrakter als die Realität.“ (Giorgio Morandi)

Die Grundfrage jedes Komponisten, die er mit jedem Stück, das er schreibt aufs neue beantwortet, ist: Was ist Musik? In der Geschichte und in verschiedenen geographischen und kulturellen Regionen gibt es die unterschiedlichsten Antworten auf diese Frage – vom Therapeutikum über das persönliche Ausdrucksmedium bis hin zum politischen oder kommerziellen Indoktrinationsmittel kann Musik für die verschiedensten Aufgaben benutzt werden. Nüchtern empirisch betrachtet kann man ganz allgmein sagen: Musik beschäftigt sich primär mit der Organisation von Luft, genauer gesagt mit der der Schwingung ihrer Moleküle. Wenn man sich mit Schall eingehender auseinandersetzt, stößt man auf sehr signifikante und frappierende Diskontinuitäten in unserer Wahrnehmung: Ein und dasselbe physikalische Phänomen, nämlich Schallwellen, also schwingende Luftmoleküle wird von uns als etwas völlig verschiedenes, und teilweise sogar von verschiedenen Sinnesorganen wahrgenommen. Luftschwingungen können von unseren Ohren aufgefangen und als Klänge wahrgenommen werden, aber auch als Vibrationen oder Wärme durch die Haut, oder mit Hilfe technischer Geräte durch unsere Augen als „Ultraschallbilder“.  Auch die akustische Wahrnehmung weist in sich erstaunliche Brüche auf: zum Beispiel werden Schallwellen als regelmäßige rhythmische Impulse oder als Tonhöhen wahrgenommen, je nachdem wie schnell sie schwingen. Der wesentlichste Unterschied zwischen diesen Phänomenen ist die Zeitlichkeit in der sie sich befinden. Ausschließlich von der Zeit hängt ab, über welches Sinnesorgen und als was wir ein bestimmtes Schwingungsphänomen wahrnehmen. So könnte man sagen, wenn wir etwas mit unseren Ohren als Klang akustisch wahrnehmen, dann ist das, was wir wahrnehmen, nämlich der Klang nichts anderes als hörbar gemachte Zeit. Und gerade hier, auf dieser elementaren Ebene möchte ich mit meinem Musikverständnis ansetzen: Musikalisches Material ist durch das Klingen wahrgenommene Zeit, der Gegenstand von Musik das hörende Erlebnis von Zeit. Die Zeit als das eigentliche Material des Komponisten ist für mich also auch zugleich zentraler Gegenstand der Musik. Ich suche nach Musik in der Klang zum hörbar gemachten Atem der Zeit wird. Das ist, denke ich, nur möglich, wenn Klang nur Klang ist (und auf nichts anderes verweisen soll), denn gerade dann wird er als das wahrnehmbar, was er eigentlich ist, nämlich als ein zeitliches Phänomen, als hörbare Zeit. Und auch hier stoßen wir wieder auf eine scheinbar paradoxe Diskontinuität: Wenn wir hörend in einen Zustand der puren Gegenwärtigkeit eintreten, in welchem Musik uns zu purer Dauer wird, verlassen wir die Zeitlichkeit eigentlich, denn indem Zeit zu reiner Präsenz wird löst sie sich auf. In meinen Arbeiten wird Klang nicht benutzt, er wird hörend erforscht und ihm wird die Möglichkeit gegeben seine ihm innewohnende reiche Schönheit zu entfalten. Musik wird nicht als Mittel gebraucht, um außermusikalische Inhalte zu transportieren, seien es Affekte, philosophische oder religiöse Ideen, politische Programme, Werbeslogans etc.. Musik ist für mich keine Sprache die der Kommunikation außermusikalischer Inhalte dient, sie ist ein freies für sich stehendes akustisches Objekt. Sie ist wie eine Schneeflocke oder ein Felsriff. (Was wollen diese uns mitteilen? Was möchten uns die Gletscher erzählen?) Zum klanglichen, konkreten „Inhalt“ werden, wie in einem Stillleben die elementarsten Klänge der Instrumente (leere Saiten, Naturflageoletts, lange ausgehaltene Töne, einfachste Skalen, Glissandi etc.), also einfachste akustische Objekte, die weder interpretiert noch psychologisch oder inhaltlich aufgeladen werden. Es ist wie ein Erforschen des Wesens von Instrumentalklang, durch welches das Altbekannte, das Alltägliche, gleichsam durch die Lupe betrachtet zum unbekannten wilden Neuland wird. Den Klängen, als quasi mikrozeitlichen Phänomenen mit ihrem ungezähmten sinnlichen Reichtum gerade dort, wo sie am vielfätigsten und am schwersten kontrollierbar sind, nämlich im leisesten, an den Grenzen zum Hörbaren und zum Geräusch, wird die musikalische Makrozeit, also die musikalische Form, als der Aspekt des kompositorischen Handwerks, der sich am direktesten nachvollziehbar mit Zeit beschäftigt, gegenübergestellt. Der klanglichen Fülle tritt eine klare formale Struktur entgegen, die die Musik zu einer klingenden Hörarchitektur werden läßt.
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Das was mich vielleicht am meisten fasziniert an Musik ist die Tatsache, daß ihre Schönheit, Größe und Tiefe nicht auf Wertvollem, auf Gesuchtem und Exotischem gegründet ist, sondern auf dem Alleralltäglichsten, auf dem was uns immer umgibt, nämlich auf nichts anderem als auf bewegter Luft.