1.
wie bitte?!
Ein Gitarrist hat mir erzählt, daß er als Kind ein zweites Loch in die Resonanzdecke seiner Gitarre gesägt hat, um lauter spielen zu können, also um einer größeren Menge von Klang die Möglichlkeit zu geben aus dem Dunkel des Korpus hinauszukommen. Mein Weg die Distanz zum Klang zu verkürzen ist umgekehrt, nämlich – wie eine Maus die sich ein Loch in ein Instrument gefressen hat – in den Korpus hinein. (Wobei Distanz natürlich etwas mit Dynamik zu tun hat das Verhältnis aber ein sehr komplexes ist. Ein verstärkter, aber leise gespielter Klang ist etwas grundsätzlich anderes als ein laut gespielter Klang mit der gleichen gemessenen Dezibelanzahl.) In der Musik der Renaissance haben sich zwei wichtige musikalische Formen entwickelt: Die Toccata und das Ricercar. Die Namen dieser Formen, das Berühren (toccare) und das Erforschen (ricercare) spiegeln eine Grundhaltung zur Musik, der ich mich sehr nahe fühle. Musik wird gedacht nicht als Erfindung oder Ausdruck, sondern eben als Finden und Erforschen von Klang. Klänge werden nicht erfunden und dann dazu benutzt, um etwas auszusagen, sondern sie werden durch Abtasten gefunden und mit Hilfe der Kompositionstechnik erforscht. Alle diese für den Hörer nur schwer durchschaubaren komplexen kontrapunktischen Konstruktionen und strengen Strukturen dienen dem Ziel den Klängen an und für sich Raum zu geben, sich zu entwickeln, in all ihrer Schönheit und Vielfalt. Dabei versucht der Komponist nicht als Wissenschaftler die Struktur der Klänge nach den Verfahren seiner wissenschaftlichen Weltanschauung zu analysieren, sondern er ist bestrebt die nur intuitiv erfahrbare Fülle und Tiefe der Klänge freizulegen. Zuhören ist für mich kein Vorgang des Dechiffrierens von Botschaften vom Komponisten, Klang wird nicht benutzt, um etwas darzustellen oder auszudrücken, sondern im Gegenteil: klare Form und strenge Struktur dienen dazu, den Klang faßbar zu machen, ihm – in einem schönen Paradox – die Freiheit zu geben sich zu entwickeln und dem Hörer die Gelegenheit das zu hören was zu hören ist. Auch mein Fokus als Komponist liegt auf dem Klang an und für sich. Nachdem ich es als meine Aufgabe ansehe dem Klang die Möglichkeit zu geben seine in ihm liegende Kraft und Schönheit zu entfalten und diese zugänglich und hörend erlebbar zu machen, stellt sich mir die Frage, in welchem Zustand seine Reichtümer am leichtesten zugänglich gemacht werden können. Die im ersten Augenblick paradox erscheinende Antwort ist die, daß der reichste Klang der leiseste Klang ist. Das „pianissimo“ ist das akustische Equivalent zum visuellen Horizont. Es ist die Grenze zum nicht mehr wahrnehmbaren also die größtmögliche Weite und das Kleinste in einem. Spielt jemand so leise wie möglich entsteht der Eindruck der Klang sein zugleich ganz nahe und ganz weit weg. Man könnte sagen, ein leiser Klang ist wie ein „Möglichkeitsklang“ im Gegensatz zum „Wirklichkeitsklang“ des Lauten, das sich eindeutig, quasi vollständig ausspricht und dadurch seine potentielle Vieldeutigkeit verliert. Im Leisen dagegen sind die beide Extreme, das Verstummen und das Laute quasi als Möglichkeiten enthalten. Wir finden wieder das schöne Paradoxon, daß das Leise also viel reicher als das Laute, das vermeinlich Schwache viel stärker als das Starke ist. Das Affirmative, das Festgelegte, das bereits Entschiedene hat seine Energie eben in dieser Erstarrung eigentlich verloren. Das Zarte und das Kleine erfordern allerdings auch erhöhte Aufmerksamkeit und Zuneigung im wörtlichen Sinne. Man wendet sich dem Klang zu, überwindet die Distanz zum Klang die in Momenten größter nüchternen Intensität gänzlich zu verschwinden scheint.
2.
gerührte musik.
Eine zentrale Eigenschaft des Klanges der meisten Instrumente ist die Flüchtigkeit. Wenn man nun bestrebt ist den Klang in seiner Fülle hörend zu durchmessen benötig man aber Zeit. In der Musikgeschichte haben sich zwei ähnliche Strategien entwickelt, um diesen Widerspruch aufzulösen: Es sind die verwandten Techniken der Repetition und der Figuration. Dabei nutzt man den scheinbar noch größeren Widerspruche, der darin besteht, daß die Steigerung der Geschwindigkeit mit der ein einzelnes Ereignis eintritt und vergeht zu einer Stabilisierung eines statischen Gesamtklanges führt. Extremes Tempo führt zu einer fast völligen Konstanz des musikalischen Informationsgehaltes und ermöglicht daher die hörende Durchdringung dieses zustandhaft schwebenden Klanges. Zusätzlich kann aber auch der Effekt eintreten, daß wie bei der Herstellung von Buttercreme oder von Mayonnaise, durch das schnelle Rühren und Schütteln Zutaten zusammenhalten die sich eigentlich nicht verbinden lassen.